Bekanntlich interpretierte Gottfried Wilhelm Leibniz – in einem Brief aus dem Jahre 1712 - Musik als „eine verborgene arithmetische Übung des Geistes, der nicht weiß, daß er zählt“. Der Philosoph, der laut jüngerer Forschung (s. Literaturverzeichnis) kein Butterkeks war, bezog sich hierbei auf die den musikalischen Intervallen zu Grunde liegenden Zahlenverhältnisse und konstatierte zugleich: „Wir zählen in der Musik nur bis Fünf“. Doch wie weit sollten Musiker:innen auf dem Gebiet des Rhythmus bewusst zählen können?

Hierzu zwei Extreme: In seiner Typologie asymmetrischer Rhythmen versteht der Musikethnologe Simha Arom alle ungleichmäßigen, gleichsam „hinkenden“ rhythmischen Gebilde als zusammengesetzt aus 2er- und 3er-Gruppen. Auf der anderen Seite nimmt der armenische Jazz-Pianist Tigran Hamasyan für sich in Anspruch, mit „Entertain me“ ein Werk im 256/16-Takt komponiert zu haben; wobei die Frage nach den korrekten Binnenbetonungen dieser Taktart je nach theoretischer Grundlage gewiss unterschiedlich beantwortet werden kann.

In diesem Seminar sollen faszinierende rhythmische Erscheinungen aus der Musik verschiedenster Zeiten, Weltgegenden und Stilistiken analysiert, miteinander verglichen und praktisch erfahren werden. Hierbei gibt es immer wieder erstaunliche Parallelen – etwa zwischen der Hemiolentechnik bei Brahms sowie in der Trommelmusik bestimmter afrokubanischer Kulte – zu entdecken, die nicht in allen Fällen durch „kulturelle Aneignung“ zu erklären sind, sondern eher auf der spezifischen Teilbarkeit bestimmter Zahlen zu beruhen scheinen.

Zu guter Letzt: Auch wenn Zahlen in diesem Seminar eine nicht unwesentliche Rolle spielen, reichen zum Verständnis die in Grundschule und Unterstufe erworbenen mathematischen Kenntnisse völlig aus. Der Dozent gesteht freimütig seine großen Schwierigkeiten im Umgang mit allem, was sich nicht an den eigenen zehn Fingern abzählen lässt. Aber laut Leibniz sollen auf musikalischem Gebiet ja sogar die Finger einer einzelnen Hand ausreichen - wie Dave Brubeck erfolgreich bewies.