Johann Sebastian Bachs Suiten für Violoncello solo BWV 1007-1012 bilden einen wesentlichen Bezugspunkt cellistischer Praxis, wovon unzählige Werkausgaben, Interpretationen und Aufnahmen zeugen. In kompositionstechnischer Hinsicht verweisen die Werke jedoch in gewisser Weise auf ein ›Problem‹. Um sein mehrstimmiges Konzept auf ein einstimmiges Melodieinstrument zu übertragen, muss Bach den ihm geläufigen musikalischen Satz komprimieren, reduzieren bzw. fragmentarisieren. So manch eine, harmonisch stützende oder kontrapunktisch kommentierende Stimme fällt dabei ›unter den Tisch‹: sie ist nur noch gedanklich zu erahnen und wird in eigentümlicher Weise ästhetisch ›virtuell‹. 

Das Seminar fragt nach den Möglichkeiten, ein mehrstimmiges Satzbild der Cellosuiten mithilfe von Generalbass und Kontrapunkt zu rekonstruieren. Es sollen Spielfassungen für verschiedene Besetzungen entwickelt werden, wobei insbesondere Fragen der Interpretation, Verzierung und Artikulation in den Fokus rücken. In methodischer Hinsicht werden Verfahren künstlerischer Musikforschung angewandt, die sich ausgehend von der instrumentalen Praxis experimentell mit dem satztechnischen Wissen befassen, das in Bachs Musik impliziert ist. Um das Verhältnis von Tanztypen und individueller Gestaltung der Suitensätze in den Blick zu nehmen, werden neben Bachs Klaviersuiten und seinen Werken für Violine solo auch Beispiele von Zeitgenossen und Vorgängern zum Vergleich herangezogen.